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Gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen – und der Progressionsvorbehalt für die ausländische Betriebsstätte

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Liegen die Voraussetzungen für eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (§ 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO) und für eine Feststellung der steuerfreien, dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte (§ 180 Abs. 5 Nr. 1 AO) vor, können beide Feststellungen miteinander verbunden werden. Eine Nachholung der Feststellung gemäß § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO ist auch während des finanzgerichtlichen Verfahrens möglich.

Die konkrete Höhe der in einer deutschen Betriebsstätte erzielten Einnahmen sowie der Umstand, dass keine Aufzeichnungen vorhanden sind, die eine direkte Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben einerseits zu der deutschen und anderseits zu der ausländischen Betriebsstätte ermöglichen, sind im Zusammenhang mit der gesonderten und einheitlichen Feststellung der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

Verletzt das Finanzamt seine Aufklärungspflicht und der Steuerpflichtige die ihm obliegende Mitwirkungspflicht, steht der Änderung des Steuerbescheides gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO der Grundsatz von Treu und Glauben nur dann entgegen, wenn der Verstoß des Finanzamt die Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen deutlich überwiegt.

Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

Die Regelung gilt sinngemäß für die gesonderte Feststellung gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO. Ob eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache zu einer höheren Steuer führt, ist bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung von ertragsteuerlichen Besteuerungsgrundlagen einer Personengesellschaft nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO danach zu beurteilen, ob und wie sich die Besteuerungsgrundlagen für jeden einzelnen Feststellungsbeteiligten erhöhen. Ändern sich nicht betragsmäßige Besteuerungsgrundlagen, sondern wie hier die Einordnung von Einkünften unter eine Einkunftsart, ist § 173 Abs. 1 AO ebenfalls anwendbar.

Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind demgegenüber Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen. Wird nachträglich bekannt, dass der Steuerpflichtige nicht erklärte Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt hat, so stellt die Höhe dieser Einkünfte die steuerlich relevante Tatsache dar, die zu einer Änderung nach § 173 AO führt. Auch die Höhe bestimmter der Besteuerung zugrunde zu legender Einnahmen ist Tatsache in diesem Sinne.

Eine Tatsache ist nachträglich bekannt geworden, wenn sie das Finanzamt bei Erlass des geänderten Steuerbescheides noch nicht kannte. Insoweit gilt der Inhalt der in der zuständigen Dienststelle geführten Steuerakten als bekannt, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters ankommt. Bei Tatsachen, die sich nicht aus den Akten ergeben, ist hingegen die positive Kenntnis des zuständigen Bearbeiters erforderlich; ein Kennenmüssen reicht hier nicht aus.

Hiernach ist bezogen auf den streitgegenständlichen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO) -wie das Finanzgericht zutreffend erkannt hat- der Umstand, dass die GbR nicht über Aufzeichnungen verfügt hat, die eine direkte Zuordnung der insgesamt angefallenen Einnahmen und Ausgaben zu den Betriebsstätten der GbR in Deutschland bzw. Spanien ermöglicht haben, ebenso Tatsache i.S. des § 173 AO wie die konkrete Höhe der von der GbR in ihrer Betriebsstätte in Deutschland erzielten Einnahmen. Tatsache ist ferner der Umstand, dass sich die von der GbR zugekauften Fremdübersetzungen in nicht unerheblichem Umfang auf Sprachen bezogen haben, die die Gesellschafter der GbR nicht beherrscht haben.

Diese Tatsachen sind dem Finanzamt im hier entschiedenen Fall nachträglich bekannt geworden. Im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Feststellungsbescheides war dem Finanzamt zwar bekannt, dass die GbR eine ausländische Betriebsstätte in Spanien unterhielt und hieraus Einkünfte erzielte. Ihm war ferner aufgrund der der Gewinnermittlung beigefügten Erklärung bekannt, dass in den von der GbR erklärten Einkünften die in der spanischen Betriebsstätte erzielten Gewinne nicht enthalten waren. Bekannt war -aufgrund der vorliegenden Kontrollmitteilungen und des mit der GbR geführten Schriftverkehrs- ebenfalls, dass die GbR im Rahmen der Erledigung der ihr erteilten Aufträge Fremdübersetzer eingesetzt hat. Nicht bekannt waren zu diesem Zeitpunkt indes die konkrete Höhe der erzielten Einkünfte und der Umstand, dass die GbR nicht über Aufzeichnungen verfügte, die eine direkte Zuordnung der Einkünfte zu den jeweiligen Betriebsstätten ermöglicht hätten. Unbekannt war für das Finanzamt auch, dass die Fremdübersetzungen sich zu einem nicht unerheblichen Teil auf Sprachen bezogen haben, die die Gesellschafter der GbR selbst nicht beherrschten. All diese Tatsachen sind dem Finanzamt erst nachträglich bekannt geworden.

Dass das Finanzamt diese nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen bei gehöriger Erfüllung seiner Amtsermittlungspflicht früher hätte kennen können, ist -anders als die GbR meint- nicht in Bezug auf das Merkmal des “nachträglichen Bekanntwerdens von Tatsachen” relevant. Maßgeblich ist insoweit die positive Kenntnis des Finanzamt, nicht aber ein “Kennenmüssen”. Allerdings kann einer entsprechenden Pflichtverletzung im Rahmen der Prüfung eines etwaigen Ausschlusses der Änderungsbefugnis gemäß § 173 AO nach dem Grundsatz von Treu und Glauben Bedeutung zukommen.

Die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen waren für die höhere Steuer erheblich.

Ein Feststellungsbescheid darf wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel nur aufgehoben oder geändert werden, wenn das Finanzamt bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen und Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte, d.h. die neuen Tatsachen bzw. Beweismittel rechtserheblich sind. § 173 AO bietet keine Rechtsgrundlage für die Beseitigung von Rechtsfehlern.

Das Fehlen von Aufzeichnungen zur Aufteilung der in den Betriebsstätten erzielten Einnahmen war ebenso wie die hiermit in Zusammenhang stehende (abweichende) Zuordnung der Einnahmen zu den Betriebsstätten (auch) für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO erheblich. Beide Tatsachen hatten nicht nur unmittelbar Einfluss auf die Höhe der -erstmals mit Bescheid vom 25.11.2010 gemäß § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO festgestellten- dem Progressionsvorbehalt unterliegenden und in Spanien besteuerten Einkünfte, sondern auch auf die Höhe der gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert und einheitlich festzustellenden inländischen Einkünfte der GbR. Bei rechtzeitiger Kenntnis der konkreten Höhe der der Betriebsstätte in Deutschland zuzuordnenden Einkünfte wäre das Finanzamt zu einer abweichenden Feststellung dieser Einkünfte der GbR gekommen.

Erheblich für die im Gewinnfeststellungsbescheid selbständige Feststellung zur Qualifizierung der von der GbR erzielten Einkünfte als freiberuflich bzw. gewerblich war der Umstand, dass die GbR in nicht unerheblichem Umfang Fremdübersetzungen in nicht von den Gesellschaftern der GbR beherrschten Sprachen zugekauft hat. Die rechtzeitige Kenntnis des im Streitjahr bestehenden Umfangs an Fremdübersetzungen hätte zu einer abweichenden Feststellung der Art der Einkünfte der GbR als Einkünfte aus Gewerbebetrieb geführt.

Dass das Finanzamt zunächst u.U. rechtsirrig angenommen hat, die in der spanischen Betriebsstätte erzielten Einkünfte der GbR seien steuerlich unbeachtlich, führt zu keinem anderen Ergebnis. Ein solcher Irrtum in Bezug auf die Relevanz für die Feststellung der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden ausländischen Einkünfte, die Gegenstand des Feststellungsbescheides gemäß § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO sind, ändert nichts an der dargelegten Erheblichkeit der nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen in Bezug auf die Höhe der gewerblichen Einkünfte der GbR, die Gegenstand des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 21. Februar 2017 – VIII R 46/13


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